Liquid Sound – Die Geschichte hinter der Geschichte
von Micky Remann
Als am 9. November 1993 die erste Liquid Sound Testanlage im Therapiepool des Klinikzentrums Bad Sulza mit der vagen Verheißung eröffnet wurde, dort Musik und Walgesänge unter Wasser hören zu können, stellten sich Reha-Patienten und Gäste die Frage: ist das ein Eintagsfliegen-Gag? Und wenn nicht, was ist es dann?
Mehr als 30 Jahre danach halten wir fest: Die Zahl derer, die das Liquid Sound typische „Baden in Licht und Musik“ erlebt haben, geht in die Millionen und ein Ende ist nicht abzusehen.
Liquid Sound ist eine Marke, ein Konzept und eine Hightech Multimedia-Installation, fest verankert in den Thermen der Toskanaworld Gruppe in Bad Sulza, Bad Schandau und Bad Orb, die nicht ohne Grund als „mit Wasser gefüllte Konzertsäle“ gelten. Die klingenden Pools sind von tempelartigen Kuppeln oder organisch geschwungenen Dachlandschaften überwölbt, die einen fragen lassen, ob hier ein Ufo vom Weg abgekommen ist? Falls es tatsächlich eines ist, dann hat es sich eben entschieden, erst einmal in Thüringen Wurzeln zu schlagen, im beschaulichen Wein- und Kurort Bad Sulza.
Hier tummeln sich tagsüber Gäste aller Generationen in der warmen Natursole bei wechselnder Unterwassermusik. Auch gibt es Mandelblütenaufgüsse in den Panoramasaunen, Wellnesspark, Gastronomie, Therapie- und Relaxbereiche, eine indianische Schwitzhütte sowie Wiesen mit Liegestühlen und Vogelgesang.
Gelegentlich wechselt die Therme ihr Gesicht. An Wochenenden zum Beispiel, beim monatlichen Liquid Sound Club, dessen Claim „Baden ist das neue Ausgehen“ lautet. Oder beim jährlichen Highlight, dem Liquid Sound Festival, wenn Musiker und Sängerinnen eine ganze Nacht lang auf der Bühne über den Becken agieren, wenn Videoprojektionen und Performances das Festivalgeschehen flankieren, während das Publikum halb träumend, halb tanzend, die Ohren mal über, mal unter Wasser vor sich hinschwebt und sich freut, dass die längste Badenacht des Jahres erst am nächsten Morgen um neun aufhört.
Mit dem Konzertbetrieb wortwörtlich ins Wasser zu gehen, erinnert daran, dass Badekultur tatsächlich etwas mit Kultur zu tun hat. Diese konsequent durchgehaltene Ausrichtung zieht Publikum diesseits und jenseits des klassischen Altertums an. Auch die junge Clubszene geht gerne baden. Wenn ein der Musik, den Medien und den Musen gewidmetes Bad nachhaltig funktionieren soll, dann müssen auch stets neue Kulturprogramme den in Badekleidung erschienenen Gästen angeboten werden. Ich bereue nicht, den Job eines Kulturbademeisters, erstens, erfunden zu haben und zweitens, ihn schon eine ganze Weile ausfüllen zu dürfen. Denn das Gegenteil der Liquid Sound-Kultur ist Monotonie.
Unlängst spielte der Saxophonist Raffael Kircher im Liquid Sound Club an der Seite von Marcus Baierl, aka DJ Noxlay. Raffael gehört zu den Liquid Sound Musikern der ersten Stunde, die schon von der Versuchsstation im Klinikzentrum Bad Sulza fasziniert waren. Als 1999 die Toskana Therme Bad Sulza in Betrieb ging, sich sogar mit dem Titel „Weltprojekt der EXPO 2000 – Liquid Sound in der Toskana des Ostens“ schmücken durfte, gehörte Raffael zum Ensemble, das ein Musiktheater namens Ozeandertaler aufführte. Die Premiere fand vor internationalen Journalisten und Fachleuten statt, die im Sonderbus aus Frankfurt am Main angereist waren. Die Messe Frankfurt GmbH hatte sich nämlich überlegt, dass ein Besuch der Ozeandertal-Performance in Bad Sulza das passende Kick-Off Event sei, um das Konzept der neuen Fachmesse Light & Building zu präsentieren. Die Rechnung ging auf, für die Messe Frankfurt, für Liquid Sound in der nagelneuen Toskana Therme und für die Ozeandertaler Performance mit Raffael Kircher am Saxophon.
Die Verbindung nach Frankfurt war nicht ganz zufällig. In der Mainmetropole hatte ich 1986 zusammen mit dem Veranstalter Off-Tat das 1. Frankfurter Unterwasserkonzert im damaligen Stadtbad Mitte initiiert. Die Veranstaltung schlug Wellen, in jeder Hinsicht. Aufgeweckte Künstler und Künstlerinnen der Frankfurter Szene griffen das Motto „Die Kultur geht baden“ beherzt auf und ließen experimentell Improvisiertes unter Wasser, ein Alphorn auf dem Zehnmeterbrett und Händels Wassermusik am Beckenrand erklingen. Das war aufregend und wunderbar, und natürlich waren auch Presse, Funk und Fernsehen zur Stelle, aber als Initiator wurde mir klar, dass eine gekachelte städtische Badeanstalt mit deutlich zu kaltem Wasser für die höher gesteckten Ambitionen der Unterwassermusik nicht wirklich geeignet war. Damit aus dem Schwimmbad ein mit Wasser gefüllter Konzertsaal wird, musste ein komplett anderer Ansatz her.
Der kam mit dem Thermenneubau in Bad Sulza, mit der Registrierung als Expo-Weltprojekt Liquid Sound in der Toskana des Ostens und schließlich mit dem aquatischen Theater Ozeandertaler und den Premierengästen der Messe Frankfurt. Die Eröffnungsaktivitäten machten deutlich, dass hier kein neues 08/15 Spaßbad entstanden war, sondern dass mit Liquid Sound als Dreh- und Angelpunkt eine deutlich sichtbare Weichenstellung im vorgenommen wurde. Das Konzept des musischen Badens hatte maßgeblichen Anteil am touristischen Aufschwung des Kurorts Bad Sulza.
Doch es wartet hinter dieser Geschichte noch eine andere Geschichte darauf, erzählt zu werden, ohne die der Erfolg nicht denkbar gewesen wäre. Eine Hommage an den Ursprung. Vor langer Zeit, weltreisend in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts, traf ich den amerikanischen Musiker Jim Nollman. Der war angetrieben von der Idee, musikalische Begegnungen mit freischwimmenden Orca-Walen zu initiieren. Erwartungsvoll schloss ich mich der Expedition in den kanadischen Nordpazifik an. Erhofft war ein Zusammenspiel zwischen menschlichen Musikern auf schwankendem Boot mit den aus den Tiefen des Ozeans antwortenden Walen. In wenigen, aber glücklichen und erregenden Momenten kam tatsächlich so etwas wie ein Dialog zustande. Eine kabelreiche Installation aus Verstärkern, Hydrophonen und Unterwasserlautsprechern stellte die fragile Verbindung zwischen uns menschlichen und den im Ozean schwimmenden Orca-Musikern her. Ich war aufgewühlt und begeistert, schaute abwechselnd in den Himmel, ins Meer, in mein Herz und dachte an vieles, aber nicht an eine pfiffige Innovation für das Bäderwesen. Zumal ich mich fragte, wie sich unsere Menschenmusik wohl im Reich unserer Partner, der Wale im Wasser anhört? Überhaupt, was unterscheidet Schallwellen, die sich im nassen Element ausbreiten, von Schallwellen im Medium Luft? Und sind unsere menschlichen Ohren für das Hören von Unterwasserkonzerten überhaupt geeignet?
Fragen wie diese gaben den Anstoß zur Liquid Sound Entwicklung, vom 1. Frankfurter Unterwasserkonzert bis zu den Liquid Sound Festivals, bei denen die Gäste in Bad Sulza (Thüringen), Bad Schandau (Sachsen) und Bad Orb (Hessen) Schlange stehen. Nichts davon wäre denkbar gewesen ohne die Begegnung mit der musikalischen Wal-Welt, die sich für Jim Nollman und eine Community of commited friends an der nordkanadischen Pazifikküste vor Vancouver Island öffnete. Der Ursprungsmythos zieht sich wie roter Faden durch die Geschichte denn er rührt an eine tieferere Sehnsucht. Es ist der Wunsch nach Teilhabe an der lebenden, fließenden Natur des Planeten Erde mit seiner fantastischen Sphärenmusik. Dass wir uns von dieser Zugehörigkeit mehrheitlich abgekapselt haben, hat mehr als ein Problem verursacht. Warum also nicht die Sache umkehren und uns für die allumfassende Sphärenmusik wieder anschlussfähig machen? Wie aus solchen poetischen Impulsen – ich hatte an der Frankfurter Goethe-Universität Germanistik studiert – dann der reale Bau eines mit Wasser gefüllten Konzertsaals werden konnte, ist eine Geschichte mit viel Versuch und Irrtum und eigenen Pointen auf dem Weg.
Einmal unternahmen wir den Versuch, Liquid Sound Musiker in Bad Sulza mit Wal-Musikern in Kanada live zu verbinden. Bei diesem back to the roots Experiment unter Zuhilfenahme von Mobiltelefonen, Internet und Unterwasserlautsprechern auf beiden Seiten treffen wir wieder auf Raffael Kircher und DJ Noxlay vom inzwischen gut eingeführten Liquid Sound Club. Was dann zwischen Kanada und Bad Sulza geschah ist im YouTube-Film Transatlantic Beluga & Liquid Sound Concert zu sehen, der auch einen Einblick in die raue Poesie der Interspecies Music genannten Interaktion zwischen Wal, Mensch und Technik gibt: https://youtu.be/WruapX3DcI8
Selbstverständlich geht die Geschichte weiter. Täte sie es nicht, müsste sie im Museum landen, aber das wäre der falsche Ort. Es sei denn, das Museum wird mit Wasser geflutet.
Über die Jahre formierte sich um den Nukleus Liquid Sound ein Netzwerk, das über die Weiten des Weltmeeres, über ozeanisches Zartgefühl und Konzerte in Badekleidung zum realexistierenden Thermengeschäft führt und sich dabei im Genre der immersiven Medien etabliert hat.
Mögen dabei viele an Virtual Reality Brillen und künstliche Welten denken, bedeutet doch der lateinischen Ursprung Immersio nichts anderes als Eintauchen. Der Begriff passt auf das körperliche Eintauchen in ein medial angereichertes Wasser ebenso wie auf das Umhülltwerden visuellen 360° Szenen bei einer Fulldome-Show im Planetarium.
Sagen wir es so: immersive Medien sind der winkende Zaunpfahl, der auf die unausgeschöpfte, aber naheliegende Evolution in Richtung Liquid Sound 2.0 hinweist.
Wer rücklings im Liquid Sound Tempel schwebt und die – oft nur halb geöffneten – Augen auf das leuchtende Mandala im Zenith der Kuppel richtet, fühlt sich manchmal in eine andere Welt versetzt, in eine kaleidoskopische Kathedrale vielleicht, in eine Höhle mit abstrakter Höhlenmalerei, in einen Tempel, in einen luziden Traum – oder ins Planetarium.
Die Assoziation führt zur nächsten Schnittstelle auf meinem Lebensweg. Seit einigen Jahren unterrichte ich an der Fakultät Medienkunst und Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar immersive Medien, mit dem Schwerpunkt Fulldome-Filme und 360° Performances. Für diese Experimente fanden wir freundliche Aufnahme im Zeiss-Planetarium Jena, Schauplatz des internationalen FullDome Festival. Es ist zum Mekka für Freunde und Freundinnen der Immersion im multimedialen Rundum-Space geworden.
Je mehr ich zwischen dem Liquid Sound Pool hier und dem Planetarium da pendelte, desto mehr reifte in mir die Überzeugung, dass die beiden Räume mit ihren immersiven Erlebnissen eigentlich zusammengehören. Können, müssen sie nicht auch zusammenwachsen?
Das Projekt beim Schopfe gepackt sieht eigentlich ganz einfach aus: Die Badenden der nicht zu fernen Zukunft schweben im körperwarmen Thermalsolebad, wo sie weder frieren noch untergehen und lauschen mit den Ohren unter Wasser kristallklaren Liquid Sound Klängen. So weit, so bekannt. Nun aber aber wölbt sich über dem Pool eine Planetariumskuppel, in die hinein bewegte 360° Fulldomefilme projiziert werden. Mit diesem Konzept im Sinn und ausgerüstet mit unterwassertauglichen 360° Kameras experimentierten Studierende aus Weimar im Liquid Sound Tempel und schauten sich die Ergebnisse später im Jenaer Planetarium an, womit die Liquid-Sound-Fulldome-Planetarium-Therme fast schon manifeste Realität geworden war.
Womit wir bei einer Veranstaltung gelandet wären, die tatsächlich im Zeiss-Planetarium Jena stattgefunden hat. Kur Kommander heißt das Musiktheater im 360°-Format, das teils in Fulldome-Episoden, teils als Live-Theater, die Geschichte vom Bademeister Ralph erzählt, der sich unsterblich in die Saunameisterin Käthe verliebt. Die Premiere zu Corona-Zeiten musste ohne Publikum realisiert werden, wie im Making of zu sehen: https://youtu.be/M2DVtuJIfho.
Doch dann im 30. Jahr der Liquid Sound Testanlage in Bad Sulza wurde Kur Kommander vollständig, live im vollbesetztem im Zeiss-Planetarium Jena aufgeführt.
Fortsetzung folgt, z.B. mit dem Liquid Sound Club an jedem ersten Samstag des Monats.
Und mit dem 23. Liquid Sound Festival am 2./3. November 2024.